Am 25.11.2020 ist die dritte Sitzung des Kabinettsausschusses unter dem Vorsitz der Bundeskanzlerin zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus angesetzt. Bereits im September 2020 erhielt der Ausschuss Stellungnahmen von Wissenschaft und Zivilgesellschaft mit zentralen Forderungen (siehe auch Beitrag auf der Website der Amadeu Antonio Stiftung).
Nun soll ein neues Maßnahmenpaket verabschiedet werden, welches nach Medienberichten u.a. auch die bessere Finanzierung zivilgesellschaftlicher Initiativen beinhaltet, die sich gegen Rechtsextremismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und für eine demokratische, offene Gesellschaft engagieren. Um vor dieser abschließenden Sitzung noch einmal deutlich für ein Demokratiefördergesetz zu werben, welches demokratische Kultur durch Projekte und Träger dauerhaft und auf Gesetzesgrundlage absichert, hat sich das NDC gemeinsam mit 60 Organisationen mit einem Brief an die Bundeskanzlerin und die Mitglieder des Kabinettsausschusses gewandt.
Unseren Brief veröffentlichen wir an dieser Stelle und hoffen, dass die Bundesregierung Träger und Projekten durch ein Gesetz zur Förderung demokratischer Kultur die Existenzsorgen nimmt, damit sich diese weiterhin gegen Rechtsextremismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit sowie für eine demokratische, offene Gesellschaft einsetzen können.
Eine ausführliche Stellungnahme zur Ausgestaltung des Demokratiefördergesetzes sowie weitere Informationen rund um die Arbeit des Kabinettausschusses finden sich auf der Website der Amadeu Antonio Stiftung.
Brief an die Bundeskanzlerin und die Mitglieder des Kabinettausschusses:
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
sehr geehrte Mitglieder des Bundeskabinettsausschusses zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus,
die Ankündigung, dass Sie, Frau Bundeskanzlerin, sich in Gesprächen mit dem Vizekanzler und dem Bundesinnenminister unter anderem auf eine Verstetigung der Förderung der Extremismusprävention auf hohem Niveau geeinigt haben, wurde in der Zivilgesellschaft dankbar zur Kenntnis genommen.
Wiederholt haben Projektträger und Initiativen auf die Probleme und Ermüdungseffekte hingewiesen, die kurzfristige, projektbezogene und immer wieder unsichere Förderung aus Bundesmitteln hervorrufen. Wir freuen uns, dass Sie diese Sorgen ernstnehmen und nun angehen wollen.
Förderung und staatliches Handeln auf Gesetzesgrundlage stellen
Offen bleibt die Frage, wie dieses Vorhaben konkret ausgestaltet werden soll. Denn nicht zuletzt der Bundesrechnungshof hat in den vergangenen Jahren immer wieder angemahnt, dass eine verstetigte, also strukturelle und längerfristige Förderung auf der gegenwärtigen gesetzlichen Grundlage nicht möglich ist. Der Bund muss sich also zuallererst selbst ermöglichen, strategisch und nachhaltig Maßnahmen zur Extremismusprävention und Demokratieförderung, zur Prävention von Antisemitismus und Rassismus und zur Stärkung von Minderheiten und Betroffenen zu ergreifen. Eine langfristig strategisch ausgerichtete Förderung heißt gerade nicht, dass nicht auch explizit geeignete Maßnahmen zur Qualitätskontrolle der Projekte und die Möglichkeit, flexibel auf Bedarfe zu reagieren, gegeben sein müssen. Ein geeignetes Mittel hierzu ist ein Demokratiefördergesetz, das nun schon länger Gegenstand der Diskussion ist.
Das gilt nicht nur für die Förderung zivilgesellschaftlicher Projekte, sondern auch für die eigenen Maßnahmen des Staates. Ein Demokratiefördergesetz könnte beispielsweise auch die Ämter der Antisemitismus- und Rassismusbeauftragten gesetzlich festschreiben. Allgemein böte das Gesetz einen rechtlichen Rahmen für die im Rahmen des Kabinettsausschusses gegen Rechtsextremismus und Rassismus zu beschließenden Maßnahmen.
Zivilgesellschaft nachhaltig stärken
Ebenso wenig geht es nur um eine finanzielle Absicherung zivilgesellschaftlicher Träger und Initiativen. Engagement gegen Menschenfeindlichkeit und für demokratische Kultur wird seit Jahren angegriffen wie nie zuvor, nicht zuletzt auch durch rechtsradikale Fraktionen in den Parlamenten. Die Wächter- und Anwaltsfunktion einer kritischen Zivilgesellschaft gesetzlich zu schützen ist in dieser Situation wichtiger denn je für unsere liberale und offene, demokratische Gesellschaft. International ist es eben auch die mehr oder weniger abgesicherte Arbeit von NGOs, an der wir die demokratische Verfasstheit von Gesellschaften messen. Ein Demokratiefördergesetz folgt hier den Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarats und hätte EU-weit Vorbildfunktion.
Bundeskompetenzen wahrnehmen
Extremismusprävention ist eine zentrale gesellschaftliche Herausforderung und der Staat reagiert auf eine konkrete – teils potenzielle, teils realisierte – soziale Gefahrenlage, die von verfassungsfeindlichen Bestrebungen ausgeht. Damit erfüllt das Aufgabenfeld zentrale Merkmale der öffentlichen Fürsorge, für die laut Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG der Bund Gesetzgebungskompetenz hat. Abzugrenzen ist das Betätigungsfeld der Prävention von sowohl der Gefahrenabwehr als auch der Bildung, die den Ländern obliegen. Wie die Bund-Länder-Zusammenarbeit im Einzelnen aussehen kann, lässt sich etwa über einen engen Einbezug des Bundesrates klären.
Lassen Sie uns deutlich sagen: Die bisherige Form der Unterstützung von zivilgesellschaftlicher Demokratiearbeit ist demotivierend und ohne eine gesetzliche Grundlage bleibt der vereinbarte Regierungskompromiss ohne Substanz. Ohne Demokratiefördergesetz schwebt über unserer Arbeit die Sorge, dass im schlimmsten Fall bereits 2022 die Debatte wieder von vorn losgeht, die Mittel zusammengestrichen oder umverteilt werden und die so wichtige Arbeit vieler Projekte erneut in Frage gestellt wird. Auf Grundlage der Bundeshaushaltsordnung können aktuell auch gut evaluierte und erprobte Projekte nicht dauerhaft gefördert werden. Um diese Missstände zu beheben, bitten wir Sie: Verabschieden Sie im Rahmen des Kabinettsausschusses gegen Rechtsextremismus und Rassismus Eckpunkte für ein Demokratiefördergesetz, das bis zum Ende dieser Legislaturperiode umgesetzt wird.
Mit freundlichen Grüßen
- adis e.V. – Antidiskriminierung · Empowerment · Praxisentwicklung
- Aktion Courage e.V. / Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage
- Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e.V.
- aktuelles forum e. V.
- Algorithm Watch
- Amadeu Antonio Stiftung
- Anne Frank Zentrum
- Archiv der Jugendkulturen e. V.
- BackUp-ComeBack – westfälischer Verein für die offensive Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus e.V.
- betterplace lab gGmbH
- BildungsBausteine e.V
- Bildungsstätte Anne Frank
- Bildungsteam Berlin-Brandenburg e.V.
- Bildungswerk Stenden B.U.D. – Beratung. Unterstützung. Dokumentation für Opfer rechtsextremer Gewalt e.V.
- Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus
- Bundesarbeitsgemeinschaft Demokratieentwicklung
- Bundesverband Mobile Beratung e.V.
- CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit colorido e. V.
- cultures interactive e.V.
- Das NETTZ – die Vernetzungsstelle gegen Hate Speech
- DeutschPlus – Initiative für eine plurale Republik
- Die Neue Gesellschaft e.V.
- Distanz – Distanzierungsarbeit, jugendkulturelle Bildung und Beratung e.V.
- Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma
- Franken-Akademie Schloss Schney e.V.
- Freiwilligen-Agentur Halle-Saalkreis e.V.
- Gesicht Zeigen! Für ein weltoffenes Deutschland e.V.
- Gustav-Heinemann-Bildungsstätte
- HateAid gGmbH
- Haus Neuland e.V.
- Hildegard Lagrenne Stiftung für Bildung, Teilhabe und Inklusion von Roma und Sinti in Deutschland
- Ichbinkeinvirus IFAK e.V.
- Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit e. V. (IDA)
- Initiative Offene Gesellschaft e.V.
- Internationales Bildungs- und Begegnungswerk e.V. (IBB)
- ista – Institut für den Situationsansatz KoFaS gGmbH
- Kolping-Bildungswerk Paderborn gGmbH/Gesellschaftspolitische Akademie
- Kreisjugendring Dachau
- Landesarbeitskreis Mobile Jugendarbeit Sachsen e. V.
- Landesjugendring Thüringen e.V.
- LidiceHaus gGmbH Miteinander e.V.
- mitMachen e.V.
- NDK Wurzen e.V.
- Netzwerk für Demokratie und Courage e.V.
- Netzwerk Tolerantes Sachsen e.V.
- Neue deutsche Medienmacher e.V.
- No Hate Speech Movement Deutschland Opferperspektive e.V.
- Regionale Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie e.V. (RAA Sachsen)
- Türkische Gemeinde in Deutschland e.V.
- Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt e.V. (VBRG)
- Verein für demokratische Kultur in Berlin e.V. (VDK)
- Violence Prevention Network gGmbH
- Waldritter e.V.
- Zentralrat Deutscher Sinti und Roma